Die Krise EU-Europas, ja des gesamten Westens, ist unübersehbar. Häufig wird der Vergleich zum Untergang des Römischen Reiches im Zusammenhang mit der Völkerwanderung
herangezogen.
Sehr spannend ist aber auch der Ansatz des beglischen Historikers David Engels, der 2014 in einem Buch und im November 2016 in der Zeitschrift "Cicero" die EU mit der
Römischen Republik vergleicht, die in die Alleinherrschaft des Augustus und damit ins "Imperium" mündete.
Wir rezensieren hier das Buch und den Artikel.
David Engels, Auf dem Weg ins Imperium : die Krise der Europäischen Union und der Untergang der
Römischen Republik; historische Parallelen, Europa-Verlag: Berlin 2014
Unser Ziel ist dabei. das Studium des Buches und die Diskussion seiner Ansätze zu unterstützen.
Dazu gehört auch der Versuch der Veranschaulichung durch Schaubilder wie diese beiden:
Das Ende der westlichen „Republik“ - auf dem Weg ins Imperium?
- Die landläufige Vorstellung vom "Untergang des Römischen Reiches"
Wenn man die aktuell offensichtliche Unfähigkeit Europas, mit der Flüchtlingskrise und Fragen der Einwanderung fertig zu werden, betrachtet, wird häufig als Vergleichspunkt der Untergang des
römischen Reiches im Zusammenhang der Völkerwanderung herangezogen.
- Der viel interessantere Vergleich von EU-Europa und Römischer Republik
Einen anderen Vergleich zieht der belgische Professor David Engels in seinem 2014 erschienenen Buch: „Auf dem Weg ins Imperium – die Krise der Europäischen Union und der Untergang der römischen
Republik.“
- Verlagerung des Ursachenkomplexes von außen nach innen
Hier geht es also weniger um den Ansturm von außen als um Selbst- Zerstörung von innen.
- Interessante Informationsquelle: "Cicero", November 2016
In einem Artikel der Zeitschrift Cicero vom November 2016 mit dem Titel: „Der letzte Ritt. Das Ende des Westens, wie wir ihn kannten“ geht er darauf näher ein.
- Liste der Probleme
Zunächst wird die „fast endlose Liste der Herausforderungen“ (22) aufgeführt, die für ihn alle schon den Keim des Scheiterns in sich tragen: „Arbeitslosigkeit, Verarmung, Spekulation,
Desindustrialisierung, Sozialstaatsabbau, Finanzkrise, Staatsschuld, Werteverlust, Bevölkerungsrückgang, Überalterung, Mediendiktatur, Bildungsmisere, Demokratiedefizit, Lobbyismus, Entpolitisierung,
Masseneinwanderung, Fundamentalismus, Fremdenfeindlichkeit, Populismus, Terrorismus oder asymmetrische Kriege“. (22,23)
- Die Potenzierung der Probleme durch Nichtbeachtung
Viel schlimmer als diese Probleme erscheint dem belgischen Professor aber, „dass all das kaum jemanden wirklich zu interessieren scheint. Die wohl gewaltigste innere Herausforderung, vor die der
Westen je gestellt wurde, hat nicht etwa zu einem allgemeinen politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Schulterschluss geführt, die es uns ermöglichen würde, wirtschaftlich vielleicht verarmt,
dafür aber innerlich geläutert aus der Krise hervor zu gehen, sondern ist vielmehr von einer inneren Auflösung begleitet die sich täglich mehr als Desinteresse, Orientierungslosigkeit, Defätismus und
sogar offener Selbsthass niederschlägt.“ (23)
- Die Distanz zwischen Realität und "Elite"
Besonders problematisch erscheint dem Professor der Gegensatz zwischen der Realität und dem Selbstbewusstsein der politischen Elite: „Je vollmundiger unsere Politiker die Überlegenheit westlicher
Werte beschwören, diese mit freiheitlicher Zivilisation an sich gleichsetzen und in flagrantem Widerspruch zum gleichzeitig besungenen Multikulturalismus überallhin zu exportieren trachten, desto
mehr scheint es, dass sich die tatsächliche Bedeutung dieser Werte weit von ihrem ursprünglichen Gehalt entfernt hat: An die Stelle positiver Identität sind bestenfalls floskelhafte Lehrstellen,
schlimmstenfalls offene Selbstzerstörung getreten und höhlen den Westen von innen aus.“ (26)
- Das eigentliche Problem mit der Integration
Ein zentrales Problem dieser inneren Leere ist der damit verbundenen Mangel an Integrationsfähigkeit. Das verringert noch mehr die an sich schon gefährdeten Möglichkeiten eines
wirklichen Multikulturalismus.
Auf gut deutsch: Was soll Menschen, die aus fremden Kulturen zu uns kommen, dazu bringen, sich unserer Kultur anzuschließen, wenn wir uns selbst nicht achten.
- Das Janusgesicht der religiösen Grundlagen Europas
Was die Religion angeht, sieht der Professor eine große Bedeutung des Christentums für die abendländische Kultur, verweist aber gleichzeitig darauf, dass die Trennung von Staat und Kirche letztlich
mit zum Niedergang von Glaubenskraft beigetragen hat, während die westliche Kultur zugleich einem selbstbewussten Islam gegenübersteht, der genau diese Trennung nicht kennt.
- Der weitgehende Ausfall des Faktors Geschichte bei der Frage der Identität
Als äußerst problematisch sieht der Professor auch den Umgang mit der Geschichte, besonders in Deutschland. Sie hat weitgehend ihre Bedeutung für Identitätsbildung verloren und ergibt sich nur noch
in arroganten Bewältigungsversuchen. „So hat die zunehmende Reduktion von Geschichte auf ‚Verarbeitung’ zu einem Zeitempfinden chronischer Besserwisserei geführt, dem alles Vergangene bestenfalls
rückständig, schlimmstenfalls verwerflich anmutet und nur insoweit verantwortbar scheint, als es teleologisch die moderne Gesellschaft hervorgebracht hat.“ (28)
- Gegenbeispiel: Die Athener der Antike
Dem stellt der Professor den Stolz der alten Athener gegenüber, „im Guten wie im Schlimmen über all ewige Denkmäler seine Anwesenheit gestiftet zu haben“. (30)
- Zusammenfassung der Diagnose:
Die Frage: „Kann der Westen sich von dieser Krise erholen?“ (30) wird recht negativ beantwortet, vor allem weil es nicht einmal ein ausreichendes Bewusstsein für die Krise gibt. Dazu kommt, dass die
Migranten sich mit einem seiner selbst unsicheren Westen kaum identifizieren können, so dass aus einer Position der Schwäche nach einem dritten Weg der Verständigung auf dem Weg des Aushandelns einer
neuen gemeinsamen Basis gesucht werden muss. Die Gefahr offener Gewaltsentladung bis hin zum Bürgerkrieg erscheint dem Professor besonders deshalb gegeben, weil das Vertrauen in die Politik
weitgehend geschwunden ist, man denke etwa an die Schlussphase des Präsidentschaftswahlkampfes in den USA im Jahr 2016 – wo ja im Falle einer Niederlage des republikanischen
Präsidentschaftskabinetten auf die Gefahr offenen Aufruhrs hingewiesen wird.
- Am interessantesten ist die Prognose:
Die Errichtung eines autoritären Regime zur gewaltsamen Wiederherstellung von Recht und Ordnung, Frieden und Wohlstand scheint unausweichlich, ganz genau wie vor 2000 Jahren, als die
römische Republik, deren Krise und Untergang von analogen Bedingungen bestimmt waren, ebenfalls in jahrzehntelanger Bürgerkriege und die Errichtung der Militärdiktatur des Augustus mündete. Dieser
galt den Zeitgenossen eben so als Erneuerer Roms, wie jetzt schon populistische Herrschaftsanwärter wie Trump, Putin oder Le Pen in Anspruch nehmen, westliche Werte zu verteidigen.“ (30)
- Nähe zu Oswald Spengler und seiner vergleichen Kulturmorphologie
Man mag den Titel des Werkes, um das es hier geht "Der Untergang des Abendlandes" schon gar nicht mehr in den Mund nehmen oder über die Tastatur gehen lassen, so sehr ist er falsch und dann auch
missbraucht worden. Wer dieses kurz nach dem Ersten Weltkrieg geschriebene Werk liest, wird wenig vom Untergang des Abendlandes lesen, aber viel erfahren über die Vergleichsmöglichkeiten der
Kulturen.
Schade, dass die Gedanken Spenglers heute nicht zumindest diskutiert werden, die Voraussetzungen dafür sind natürlich durch die politischen Auseinandersetzung seit 2015 noch schwieriger
geworden.
Interessant ist auf jeden Fall, dass Spengler auch erwartete, dass am Ende der kulturellen Entwicklung der "Cäsarismus" triumphieren werde, also eine starke Führungsfigur, die wie Augustus den Schein
der Republik aufrechterhält, in Wirklichkeit aber alle Fäden in der Hand hält. Man kann dann nur hoffen, dass es trotz aller negativen Entwicklungen dann wenigstens für einige Zeit noch eine "pax
augusta" gibt.
Die Idee eines Leitfadens für die eigene Lektüre
Für die, die das überaus lesenswerte Buch von David Engels persönlich "in Augenschein" nehmen wollen, stellen wir unten einen "Leitfaden" zusammen, der eigene "Lesefrüchte" für andere Interessierte
zusammenstellt.
- Kritik der Schlussfolgerung
Am Ende kann man dann dem Professor aber nicht ganz folgen, denn er geht davon aus, dass es ein „trauriger Westen sein“ werde, „der sich aus der Asche unserer heutigen Welt erheben
wird“. Das widerspricht natürlich dem Lebensgefühl der Römer, die nicht von ungefähr von einer Pax Romana sprachen. Sie brachte für etwa 200 Jahre „Rom, Italien und den meisten Provinzen eine
lange währende Zeit von innerem Frieden, Stabilität, Sicherheit und Wohlstand. Nach den Verheerungen der Bürgerkriege blühte die Wirtschaft nun ebenso auf wie Kunst und Kultur.“
(https://de.wikipedia.org/wiki/Pax_Romana)
Leitfaden für die eigene Lektüre des Werkes von David Engels:
Die folgenden Seitenhinweise beziehen sich auf die folgende Ausgabe:
David Engels, Auf dem Weg ins Imperium. Die Krise der Europäischen Union und der Untergang der römischen Republik. Historische Parallelen: Europa Verlag,
Berlin/München 2014
Bitte die folgenden Hinweise als Hilfestellung für die eigene, manchmal auch notwendigerweise stark zielgerichtete Lektüre nehmen.
Es handelt sich hier um ein freiwilliges Angebot, keine Dienstleistung ;-)
Beginn mit einer Verteidigung des eigenen Ansatzes des Vergleichs:
Dieser wird letztlich als einziger heute noch maßgeblicher Grund für die Beschäftigung mit der Antike hervorgehoben.
- S. 36: Die schlechte Nachricht für die Freunde der Antike: Ihre Bedeutung für uns heute wird immer mehr in Frage gestellt.
- S. 37: Die gute Nachricht: Hervorhebung des Vergleichs als Hauptargument, sich überhaupt noch mit der Antike zu beschäftigen: Überleitung zu seiner zentralen Frage,
nämlich dem Vergleich der Lage der EU mit der Lage der späten Römischen Republik
- S. 38: Aktuelle Lage der Geschichtswissenschaft: Die Zersplitterung in Teilbereiche macht übergreifende Vergleiche besonders verdächtig - und die
Geschichtsphilosophie, der man das noch am ehesten zugestehen würde, ist in besonderer Weise verdächtig geworden.
- S. 39: Verteidigung des Vergleichsansatzes: Man könne aus der Geschichte nur lernen, wenn man vergleicht und dann Gemeinsamkeiten und Unterschiede
feststellt
- S. 40: Hinweis auf die Tradition des Vergleichs der Entwicklungsmuster des römischen Reiches und unserer Welt heute
- S. 40: Verweis auf die beiden Varianten von historischen Vergleichen: punktuelle und allgemeine
- S. 41: Verweis auf Ferdinand Mount, der erstaunlich viele Parallelen sieht zwischen der Lebensweise in der EU-Realität unserer Zeit und der römischen Zivilisation zur
Zeit des Zusammenbruchs
- S. 43: Hinweis auf Spengler und Toynbee, deren Ansätze David Engels mit "Optimismus" aufnimmt und erneut fruchtbar machen will.
63ff: Das europäische Dilemma
- 63: Das Problem, historisch gewachsene Identität durch abstrakte Vorstellungen zu ersetzen
- 64: Liste der aktuellen "Werte" der EU - eher geeignet für einen künftigen Weltstaat
- 65: Problem, dass es keine einheitlichen Vorstellungen in der Welt zum Beispiel von "Freiheit" gibt; Engels sieht in dem EU-Ansatz ein "seltsames Zeugnis fast
kolonialistischen Dünkels"
- 66: Lösung der EU: Beschränkung auf den geografischen Raum "Europa", Engels nennt das eine "intellektuelle Kapitulation"
- 67: Probleme einer solchen geografischen Grundlage
- 68: Türkei-Problem wird in einem Gedankenspiel mit einem Spanien verglichen, das um Aufnahme in die Arabische Liga bittet
- 69: Erwartung, dass dieses Identitäts-Dilemma von "unten", also durch die Wähler entschieden wird, zum Beispiel durch Abwendung von der EU
- 70: Engels: Untersuchungsansatz: Vergleich mit der römischen Republik
- 71: Statististik: Welche Werte assoziieren die Bürger mit der EU -> Untersuchungsprogramm des Buches
- 72-74: Vorstellung der Reihenfolge der Aspekte:
- S. 77ff: Toleranz
- S. 100: Respekt gegenüber menschlichem Leben
- S. 121: Gleichheit
- S. 139: Selbstverwirklichung
- S. 165: Religion
- S. 196: Respekt gegenüber anderen Kulturen
- S. 227: Freiheit des Einzelnen
- S. 248: Demokratie
- S. 277: Rechtsstaatlichkeit
- S. 301: Menschenrechte
- S. 323: Frieden
- S. 370: Solidarität
- S. 414: Schluss
- S. 433: Postscriptum: Auf dem Weg ins Imperium
- 74: Anmerkungen zur Methode des Buches
- 75: Statistische Unterlagen von heute gegenüber literarischen Zeugnissen von früher
- 76: Verteidigung dieser "Divergenz der Quellenlage"
S 44: Kapitel: "Krise ohne Alternative - das Ende der römischen Republik
Dieser Teil des Buches präsentiert einen allgemeinen Überblick über die Geschichte der Römischen Republik von den Gracchen bis zu Augustus. Das meiste davon wird dem
Geschichtsinteressierten bekannt sein. Allerdings merkt man deutlich, dass Engels die Entwicklung natürlich im Hinblick auf das Thema seines Buches beschreibt.
Wer sich aber auskennt, kann diesen Teil zunächst einmal überspringen.
- S. 44: Vorbemerkung zur unterschiedlichen Sicht unserer Zeit und der Zeitgenossen
Hinweis auf die andere Wahrnehmung der Zeitgenossen - sie sahen nicht die Folgerichtigkeit, die wir rückblickend zu sehen glauben (was übrigens ein allgemeines
Problem jeder Geschichtsbetrachtung ist)
- S. 45: Liste von ähnlichen Problemprozessen (Römische Republik und EU), u.a. multikultureller Synkretismus statt alter Werte
Ausgangspunkt = Mitte des 2. Jahrhunderts: nach außen scheinbare Stabilität, im Inneren Krisen
- S. 46: Paradoxe Situation: Einzelpersonen erkennen die Krise, die Machtelite scheut Veränderungen und verhindert damit friedliche Lösungen
Bereich 1 = Niedergang des Bauernkriegerums und die Machtübernahme durch Feldheern
- S. 47: Fluch der Expansion: Notwendigkeit des Übergangs zum Provinz-System statt indirekter Herrschaft, führt zu gigantischen Einnahmen und einem Sinken der Bedeutung
der altrömischen Bürger
Weiteres Problem: Die kampferprobten und machtbewussten Heerführer gliedern sich nur ungern in das senatorische Kollegialsystem ein.
- S.48: Die ehemaligen Heerführer wenden sich ans Volk, um ihre Macht auszubauen, der Rest des Senats hält dagegen und bringt sich damit in Gegnerschaft zu Teilen der
Bevölkerung.
Heeresreform verstärkt das Problem noch: Söldnerheer, ehemalige Bauernsoldaten werden zu abhängigen Proletariern (Klientel-System)
- S. 49: Soldaten entwickeln immer stärkere Loyalität zu ihren Heerführern
Daraus entsteht die Versuchung zur Veränderung der Staatsverfassung, was bei den Gracchen noch gescheitert war. Der Geist ließ sich aber nicht mehr in die Flasche zurückdrücken.
- S. 50: Agrarreformen sind nötig, allerdings entsteht dabei ein Konflikt zwischen Altrömern und Bundesgenossen, woraus 92-88 regelrechter Krieg wird.
Kompromiss: Vergabe des Bürgerrechts, aber wirtschaftliche Folgen bleiben und Angst vor Bürgerkrieg wird verstärkt.
- S. 50/51: Weitere Etappe wird durch Mithridates, den König von Pontus ausgelöst; Streit um lukrative Militärführung; Sulla setzt sich durch, nach dem Beginn des
Feldzugs intrigiert der unterlegene Marius gegen ihn, es gibt ein Hin und Her, bei dem schließlich Sulla mit den Soldaten Rom besetzt und mit brutalster Gewalt gegen seine Gegner vorgeht.
Gefährlicher Präzedenzfall für die Zukunft, Radikalisierung der Kämpfer und Verlust der moralischen und sachlichen Autorität des Senats
- S. 52: Nach Sulla = keine Rückkehr zur alten Republik mehr möglich
- S. 52/53: Bedeutung des Pompejus: erfolgreich, aber ohne Rückhalt im Senat
-> Ausweg: Das erste Triumviat mit Crassus und Caesar ("ein für seine Skrupellosigkeit bekannter junger popularis", S. 53: eine sehr interessante
Einschätzung dieses Staatsmannes, die nicht jedem geläufig sein dürfte!)
Auf jeden Fall gibt es jetzt eine Institution, die die verfassungsmäßigen Institutionen ihrer Rechte beraubt.)
- 54: Der Schein der verfassungsmäßigen Ordnung wird aber aufrecht erhalten.
Nach dem Tod des Crassus: Zerfall des Bündnisses und Sieg Caesars über Pompejus
- Cäsars Ermordung - auch hier keine Rückkehr zur alten Ordnung möglich; Octavian, der spätere Augustus laviert zwischen den Fronten.
- 56: Zweites Triumvirat - brutale Auslöschung der Gegner
- 56/57: Auch hier Zerfall des Bündnisses und alleinige Macht des Octavian/Augustus, der sich aber um Ausgleich mit dem Senat bemüht, Fortsetzung der
Schein-Weiterexistenz der alten Republik.
- 57: Das neue Machtsystem des Augustus - ähnlich wie nach 1799 bei Napoleon wird die neue
Ordnung akzeptiert, weil sie dem Volk Ruhe gibt und auch die Senatoren sich weniger bedroht fühlen.
- Abschluss des Prozesses im Jahre 14 n. Chr., als die Macht an Tiberius übergeben wird: Die Römische Republik ist ein "autoritäres System geworden".
77ff: "Europäische Identität, universalistische Werte und Systemkrise
- 77/78: Heute Toleranz als hoher Wert, früher war es klar, dass Identität "Eingrenzung" bedeutete und damit automatisch auch "Ausgrenzung"
- 78: Heute: Phänomen der Idealisierung des Fremden zu Lasten des Eigenen
- 79: Negative Prognose für das Fortbestehen der universalistischen Ideologie
- 79/80: Entwicklung der europäischen Identität, Bedeutung der weißen Hautfarbe, was heute kritisch gesehen wird, aber nach Meinung des Verfassers seine Bedeutung
behält
- 81: Luhmann wird zitiert: Integration gebe es nur durch Exklusion; negative Prognose, was die Entwicklung der Identität der EU angeht; Widerspruch zwischen dem
universalistischen Ansatz und der geografischen Beschränkung auf Europa
- 82: Hinweis auf die praktischen Probleme der Massen-Einwanderung und den Widerspruch zwischen der Liebe zu den Fremden und
der Verachtung des Eigenen,
die zahlenmäßige Dimension der Veränderung der Bevölkerung durch die Massenmigration
- 83: Die fehlende Regelung der Migration und die damit verbundene fehlende Identitätsperspektive; Hinweis auf das
verständliche Unbehagen vieler Europäer, die mit ungewohntem und zum Teil ihrer eigenen Kultur widersprechendem Brauchtum konfrontiert werden
- 84: Hinweis auf die Problemösungsdefizite bei den europäischen Institutionen
- 85: Hinweis auf die paradoxe Situation, dass man sich selbst
nicht achtet, aber von den Neuankömmlingen erwartet, dass sie sich den eigenen Normen anpassen, schlechte Aussichten; Hinweis auf den zusätzlichen Verschlimmerungscharakter, dass man nicht mal auf
die Qualifikation der Einwanderer geachtet hat, Problem des Hypermoralismus
- 86: zwei zentrale Probleme: Kriminalität und Mitnahme-Mentalität, Hinweis auf die Verständlichkeit der Distanz der Einheimischen gegenüber
Einwanderern
- 87: Verschärfung der Situation zu erwarten, Hinweis darauf, dass zum
Beispiel die Türken sehr viel selbstbewusster mit Migration Anderer in ihr Land umgehen als die Europäer
- 88: negative Prognose, was die Einstellung der Bevölkerung angeht, angesichts der eigenmächtigen hypermoralistischen
Vorgaben der sogenannten Elite
---
- 88: Übergang zu den Verhältnissen im alten
Rom
-
Grundsätzliche Ähnlichkeit des „Teufelskreises von Masseneinwanderung, Integrationsproblematik und
Fremdenfeindlichkeit“
-
89: Entwicklung im Hellenismus, Bedeutung der Sprache, der Gemeinsamkeit von
Heiligtümern und Opfern sowie der Sitten
-
90: Hinweis auf die schon damals vorhandene Größe der Städte, stärker kosmopolitisch,
aber auch Probleme im Verhältnis der Bevölkerungsgruppen untereinander
- 91:
Hinweis auf innere Spannungen in der Zeit des Hellenismus bis hin zu Pogromen
- 92: Verhältnisse in Rom insgesamt etwas günstiger wegen der besseren Ausgangsmythen, die durchaus auf Integration
ausgerichtet waren
- 93:
negative Sicht der Entwicklung der Bürgerschaft, Anwachsen der Fremden feindlichkeit durch die Einbeziehung der Bürger auch der Kolonien
- 94:
unterschiedliche Sichtweisen, es gibt Vertreter des Multikulturalismus, aber auch Kritiker
- 95:
ziemlich radikale Maßnahmen gegen Überfremdung bis hin zur Ausweisung, aber auch fremdenfreundliche Gegenpositionen
- 96:
besonders Problem der Sklaven Befreiung, weil damit sofort die Vergabe des vollen römischen Bürger rechtes verbunden war
- 97: ausführliche Darstellung der Versuche, dieses Recht zu begrenzen, in einer antiken
Quelle
- 98/99: die Elite sieht das Problem mit den Sklaven zum Teil, sogar Augustus deutet
Einschränkungen in seinem Testament an, Hinweis auf Parallelen zwischen damals und heute, was Toleranz und Offenheit im übertriebenen Maßstab einerseits und Abwehrreaktionen der Betroffenen
andererseits angeht, dazu kommt, dass das eher zu einem Integrationshindernis wird und die geringe Loyalitätsbereitschaft der Neubürger bestärkt
100ff: "Respekt gegenüber menschlichem Leben: Familienleben und Bevölkerungsschwund"
- 100: Ausgangpunkt: Phänomen der gestiegenen Achtung vor dem menschlichen
Leben
- LebenRückblick: Christentum eher am Jenseits interessiert, 19.
und 20. Jhdt: Militarismus und Kapitalismuss zT. lebensfeindlich
- 101: Bevölkerungswachstum vor allem wegen Arbeitskräfte-Zuwachs in den unteren Schichten;kaum
Geburtenkontrolle, Problem der unehelichen Geburten
- 102: dann großes Umdenken: individuelles Leben wird immer höher gewichtet, erstaunlicherweise
zu Lasten des Gemeinschaftswachstums und der Lebenschancen ungeborener Kinder
- 103: Hinweis auf das Ausmaß des Bevölkerungsrückgangs in Europa: bedrohliche Situation mit Ausnahme
von England und Frankreich, weil dort die Einwanderer schon eine Generation weiter sind
- 104: Annahme, dass hinter einer abnehmenden Bevölkerung auch ein entsprechendes kulturelles Defizit
steckt; ausführliche Darstellung der Faktoren und Prozesse, die zu einem Bevölkerungsrückgang in Europa führen, während in anderen Kontinenten die Bevölkerung explodiert
- 105: die gefährlichen Folgen des Rückgangs der Bevölkerung; Prüfung der Frage, in wieweitder
Bevölkerungsrückgang durch Einwanderung aufgefangen werden kann
- 106: Gefahren für den inneren Frieden durch eine Bevölkerungs Verschiebung durch Masseneinwanderung;
nähere Erläuterung der Gefahr, dass die eingewanderten Bürger sich nicht integrieren werden, was die Probleme verschärft
- 107: Hinweis auf die Veränderung der Bevölkerung durch schon länger hier lebenden
Migranten
- 108: zusammenfassende Auswertung: Europa ist auf dem Weg zu einer Veränderung in Richtung „Eurabia“,
in absehbarer Zeit wird ein Drittel der Bevölkerung fremder Herkunft sein
- —-
- 108: Übergang zur Situation in Rom: große Ähnlichkeit der Entwicklung heute mit der
in der spätrepublikanischen Zeit Roms
- 109: interessanter Zusammenhang von Ordnung und Wohlstand und auf der anderen Seite zunehmende
Individualisierung und abnehmende Sozialbindung; Darstellung der Situation im Altertum auf der Basis von literarischen Quellen, eine sehr ausdrucksstarke von Polybios wird
vorgestellt
- 110: Sorge der Römer wegen Bevölkerungsrückgang, Rede eines Zensors
- 111: Beispielzahlen für den Rückgang der Bevölkerung in Rom, Gegenmaßnahmen; Hervorhebung des
entscheidenden Grundes für den Bevölkerungsrückgang, keine Lust auf den Stress der Kindererziehung
- 112: altrömische Mahnung zu einer Sexualität, die nur der Fortpflanzung dient; Kritik an der geringen
Bereitschaft zur Mutterschaft und den damit verbundenen Strapazen und Leiden
- 113: Quelle: Entwicklung der Kindererziehung in Rom
- 114: Hinweis auf die vielfältigen Abtreibungsmöglichkeiten zur Zeit des Hellenismus, Vergleich mit
heute: Pille nicht als Grund, sollen als Mittel eines veränderten Sexualverhaltens
- 115: Abtreibungen waren in Rom zwar verpönt, aber vielfältig in Gebrauch
- 116: schon in der Antike gibt es ein Bewusstsein dafür, dass Schwangerschaftsveränderungen den
Generationenvertrag gefährden.
- 117: Hinweis auf das Korrigieren von Symptomen im Hinblick auf Landverteilung und Berufsarmee, deren
Politisierung zusammen mit der Klientelwirtschaft in der römischen Politik letztlich zwangsläufig zum Burgerkrieg führt; Beschreibung der Bevölkerungskatastrophe zur Zeit Caesars
- 118: Versuche des Augustus, etwas für die Bevölkerungsvermehrung zu tun, angeblich erfolgreich;
dennoch bleibt der allgemeine Eindruck des Pessimismus, Flucht in Sklavenbefreiung, die möglichst verschleiert wird
- 119: zusammenfassende Beschreibung der Entwicklung im spätrepublikanischen Rom und im heutigen
Europa; Niedergang der herkömmlichen Wirtschaftsstrukturen, zugleich gefährliche Massenpolitisierung, auch des Militärs, damit Möglichkeiten des diktatorischen Eingreifens
- 120: im Vergleich stellt Engels fest, dass die militärische Lösung heute eher unwahrscheinlich ist
wegen der allgemeinen Regierungsverhältnisse in Europa. Das ändert aber nichts daran, dass er die Wahrscheinlichkeit gewalttätiger Konflikte sieht.
121ff: Gleichheit: Paarbeziehung und Individualismus
Anmerkungen und Lese-Empfehlungen:
- Engels macht in diesem Kapitel (ab S. 121) zunächst einmal deutlich, was die sexuelle Befreiung der Menschen in EU-Europa im Vergleich etwa zur Viktorianischen Enge auch bedeutet: Nämlich einen
Rückgang des familiären Zusammenhalts und der Einstellung gegenüber der frühkindlichen Erziehung der Nachkommen: Diese wird zu einer Angelegenheit, die auch außerhalb der Familie erledigt werden
kann.
- Die Auflösung der Familienstrukturen bedeute zugleich auch eine Gefahr für übergeordnete staatliche Einheiten (ab S. 126/127).
- Perspektivisch sieht er einen Kampf zwischen fortgesetzter Ablehnung der traditionellen Familie und dem Versuch, dem entgegenzuwirken. Am Ende kann seiner Meinung nach durchaus ein Rückfall in
autoritäre Familienstrukturen stehen.
- Dazu zwei Anmerkungen:
Zum einen wird interessant sein, wie sich der noch sehr traditionell ausgerichtete Familiensinn der muslimischen Immigranten auswirken wird.
Zum anderen ist es sicher interessant, die Entwicklung EU-Europas mit der Chinas zu vergleichen, wo ein extrem anderes Familienmodell vorherrscht – mit zur Zeit enormem gesellschaftlichen
Stabilitätsgewinn.
Stefan Baron / Guangyan Yin-Baron, Die Chinesen. Psychogramm einer Weltmacht, Econ-Verlag: Berlin 2018, S. 109ff: Erziehung und Sozialisation. Familie, Hierarchie, Bildung
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- Was Rom angeht, sieht Engels große Parallelen, sogar im Hinblick auf Frauenrechte (die aber nur in Ansätzen) und einen Einstieg in antiautoritäre Erziehung. Vor allem arbeitet er die
demografischen Probleme heraus, die mit einer Absage an den mos maiorum, die Sitten der Vorfahren, verbunden sind.
- Ein besonderes (trauriges) Highlight ist sicher der Hinweis, dass im spätrepublikanischen Rom die Eltern kinderreicher Familien weniger eingeladen wurden, während Kinderlose als mögliche Erbonkel
und Erbtanten hochinteressant waren (S. 134).
- In der Verantwortung für den mit diesen Entwicklungen verbundenen Niedergang der Gemeinschaft sieht Engels vor allem die Eliten, die mit schlechtem Beispiel vorangegangen seien.
- Letztlich hätten sie gerne die politische Freiheit im Prinzipat aufgegeben, solange man ihnen die sexuelle Freiheit ließ.
Anmerkungen zum Kapitel "Selbstverwirklichung: Gesellschaft und Egoismus
(S.139-164)
Anmerkungen und Lese-Empfehlungen:
- Engels ist zunächst einmal erstaunt, dass Selbstverwirklichung,
die ja nun vorwiegend mit dem Individuum zu tun hat, überhaupt bei den Werten der europäischen Union auftaucht und dann auch noch in sehr unbestimmter Form.
- Selbstbestimming Europa sieht für ihn konkret so aus, dass frühere Bindungskräfte,
die Gemeinschaft, Kultur und Religion, an Bedeutung verloren haben und weitgehend ersetzt worden sind durch materielle Ziele.
- Dies habe zum einen zu einer massiven Erhöhung des Wohlstands geführt, zum anderen
aber auch zu einer zunehmenden Spaltung der Gesellschaft, die wiederum den Staat zwingt, immer stärker einzugreifen. Dies wiederum würde ihm erschwert durch die Stärke der überstaatlichen
Marktkräfte.
- Engels sieht einen Zusammenhang zwischen dem Egoismus der Marktlenker und dem
ungehemmten Selbstverwirklichungsstreben der Einzelmenschen.
- Dies funktioniere zur Zeit noch einigermaßen, weil die Menschen wie im alten Rom
durch Brot und Spiele abgelenkt würden, wobei die Massenmedien eine ganz entscheidende Rolle spielten (Seite 145).
- Ausführlich beschreibt er das aus seiner Sicht falsche Wesen der heutigen
gesellschaftlichen Wirklichkeit, die vor allem den Zusammenhalt größerer Gruppen immer mehr auflöse zu kleinen Gruppen oder gar Einzelbeziehungen.
- Sehr interessant dabei der Hinweis auf den Widerspruch zwischen kosmopolitischer
Humanität und der fehlenden Bereitschaft, sich um seinen kranken Nachbarn zu kümmern (S. 149).
- Ab Seite 150 wendet Engels sich dann den Verhältnissen in der späten römischen
Republik zu: „Durchaus vergleichbar mit der gegenwärtigen Situation in der Europäischen Union war auch die Selbstverwirklichung im wirtschaftlichen wie im privaten Bereich in der späten römischen
Republik durch ein Spannungsfeld zwischen Verarmung und Ausbeutung, städtischer Vereinsamung und gesellschaftlichem Egoismus, Werteverfall und Vergnügungsgesellschaft sowie Arbeitslosigkeit und
Abhängigkeit von Sozialleistungen gekennzeichnet.” (Seite 150)
- Ausführlich beschreibt Engels die politische Instrumentalisierung sowohl der
Getreideverteilung als auch der Unterhaltungsangebote im Kolosseum. Immer wieder finden sich auch nette Kleinigkeiten am Rande wie der Hinweis darauf, dass Caesar dafür kritisiert wurde, dass er bei
seinem Pflichtbesuch bei von ihm bezahlten Spielen Briefe diktiert, also Amtsgeschäfte getätigt hätte. (158)
- Insgesamt sieht Engels einen regelrechten „Trieb zur Selbstzerstörung“
(159).
- Dazu gehört auch das zunehmende Phänomen der Einsamkeit, besonders alter Menschen.
Eine gewisse psychologische Entlastung habe die Philosophie der Stoa gebracht.
- In der Zusammenfassung (164) wertet Engels seinen Vergleich noch einmal aus und
erteilt der These, unsere heutigen Probleme in diesem Bereich hätten etwas mit Technisierung zu tun, eine klare Absage. Schon die alten Römer hätten es am Ende der Republik verstanden, eine
einigermaßen funktionierende Gesellschaft immer weiter zu fragmentieren. Das Eingreifen des Staates habe die Entwicklung nur partiell abmildern können, letztlich aber zur Verfestigung von
Unterschieden und Gegensätzen beigetragen.
Zusammenfassung des Kapitels: Religion: Glaube und
Rationalismus
Teil 1:
EU
165-181
- Engels geht in seiner vergleichenden Betrachtung von EU und spätrömischer Republik über zum kulturellen Bereich, nachdem die Beschreibung des gesellschaftlichen Rahmens
abgeschlossen ist (165ff).
- Ausführlich beschreibt der Verfasser den “Niedergang der christlichen Religionen” vor dem Hintergrund ihrer eigentlichen Bedeutung: “Religion ist somit nicht bloß ein Wert unter
anderem, sondern gewissermaßen der Schlussstein eines Bogens, der nur durch diesen Festigkeit und innere Ordnung erhält.” (166)
- Der abstrakte Rationalismus der Gegenwart sei nicht in der Lage, die tiefen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, was sich daran zeige, dass der freigewordene Platz der
christlichen Religionen gefüllt werde durch ein Vordringen “verschiedenster schlichter Glaubensrichtungen und Überzeugungen.” (179). Er nennt hier Beispiele von Esoterik und New Age bis hin zu
Druidismus und Ufo-Glaube.
- Vor diesem Hintergrund sieht der Verfasser diesen Prozess als ein “weiteres bedeutungsvolles Zeichen für die tiefe Krise der europäischen Gesellschaft und die auch ansonsten
überall festzustellende Entsolidarisierung der staatlichen Einrichtungen mit ihrer kulturellen Vergangenheit.” (167)
- Ab Seite 168 beschreibt der Verfasser das, was er als weißen Masochismus bezeichnet, der sich gegenüber der christlichen Religion hemmungslos auslebe, während gleichzeitig
“Islamophobie in vielen europäischen Ländern als strafbares Verbrechen gilt”. (168)
- Am Beispiel der Überlegungen und Vorarbeiten zum Verfassungsentwurf der Europäischen Union (ab 174) konkretisiert der Verfasser die Distanz zu den Grundlagen unserer heutigen
Kultur, die man glaubt, erhalten zu könne, während man gleichzeitig (in Aufnahme einer Metapher von Wittgenstein) die Leiter wegwirft, mit der man empor gestiegen ist.(178)
- Engels ist sehr skeptisch, dass die nachfolgenden und sehr viel freundlicher behandelten Religionen sich dem hohen Stand von Kultur und Zivilisation im ehemals christlich
geprägten Europa anpassen werden, er spricht von der “Fassade einer angeblich humanistischen Weltbürgerlichgesellschaft” (181), hinter der sich “ein Rückfall in Auseinandersetzungen um längst
überwunden geglaubte Fragen eingenistet” (181) habe. Er nennt hier beispielhaft: die Gleichstellung der Frau, das Tragen religiöser Abzeichen, rituelle Verstümmelung, die theologische Akzeptanz von
Impfungen.
- Am Ende dieses Abschnitts stellt er bedauernd fest: “Einmal mehr schwächt somit die Verherrlichung rationalistischer Toleranz die Fähigkeit, das eigene Wesen zu verteidigen und
der Intoleranz Widerstand zu leisten, und festigt damit ungewollt die Kräfte derer, die sie eigentlich bekämpfen sollte…” (181)
Teil 2:
Rom
182-195
- Engels stellt
zunächst fest, das die römische Region insgesamt widerstandsfähiger war gegenüber dem, was sich im Hellenismus gezeigt hatte. Aber auch hier führte die allgemeine Entwicklung schließlich dazu,
dass die Religion eher als eine Sammlung archanischer Bräuche angesehen wurde, die vor allem im Rahmen der Machtsicherung genutzt werden konnten (182-184).
- Anschließend setzt
sich der Verfasser mit neueren Tendenzen in der Geschichtswissenschaft auseinander, einen offensichtlichen Niedergang als kulturelle Bereicherung und Transformationsprozess zu sehen. Er
betrachtet das als „nachträgliche Verniedlichung“, sogar die Bezeichnung als „grober Unfug“ (185) fällt, wenn das Fortleben von Bräuchen und kulturellen Versatzstücken mit Substanz
gleichgesetzt wird (184-185). Dem setzt er in bewährter Manier die Einschätzungen und Gefühle der Zeitgenossen entgegen.
- Eine besondere
Rolle spielt Lucrez, ein Anhänger das Epikur, der jede Form von Gottesverehrung für sinnlos hält. Engels bringt hier auf Seite 187 ein beeindruckendes Zitat, das einen an Goethes Gedicht „Prometheus“
erinnert.
- Wie wenig
Widerstand möglich war zeigt Engels am Beispiel der religiösen Institutionen: Zwar sei die Zahl der Priester vergrößert worden, Ihre Qualifikation und politische Instrumentalisierung habe aber
ebenfalls zugenommen.(188-192). Dies habe wegen der engen Verklammerung von Religion und Republik auch letztere geschwächt (192).
- Ab Seite 192
wendet sich Engels den orientalischen Kulten zu, die die religiösen Bedürfnisse der Römer besser befriedigten. Alle Versuche des Widerstands bis hin zu Vertreibungsmaßnahmen hätten nicht
gewirkt.
- Am Ende habe dann
mit dem Christentum die Religion gewonnen, die am entschiedensten dem „Grundsatz einer freien Kombinierbarkeit verschiedenster Glaubensvorstellungen und Riten am unversöhnlichen gegenüberstand“.
(194)
- Was das
Gesamturteil zu diesem Komplex angeht, hebt der Verfasser hervor, „dass der Sieg rein universalistisch gefasster Identitätswerte langfristig keineswegs eine allgemeine humanistische Aufgeklärtheit
der breiten Massen zur Folge hat, sondern ungewollt vielmehr den Rückfall in einem halben primitiven, halb spätzeitlichen Aberglauben, dessen geistige Grundvoraussetzung jenen staatlichen
Kräften vollständig entgegengesetzt ist, welche seine Verbreitung im Sinne religiöser Überparteilichkeit zu schützen sich berufen sehen. (195)
Anmerkungen zum Kapitel: Respekt gegenüber anderen Kulturen:
Nation und Globalisierung
Teil 1: EU
196-210
- Das Kapitel beginnt mit der Feststellung,
dass die „Solidarität zwischen dem Staat beziehungsweise der Gesellschaft und dem nationalen wie auch dem allgemeinen abendländischen Kulturgut heute nicht mehr als selbstverständlich gegeben zu sein
scheint“ (196) stattdessen werde sie nur noch Als „Erbe“ gepflegt. Vorrang habe aber auf jeden Fall das Interesse anderer Kulturen vor der eigenen. Nicht ohne Ironie charakterisiert Engels die
damit verbundene Haltung als ängstlich bzw. defensiv.
- Im Anschluss daran wird zunächst geklärt,
was unter einer europäischen Kultur überhaupt verstanden werden kann. Ganz im Sinne eines ursprünglichen Verständnisses von Definition („finis“ = Grenze) geht es dabei vor allem Abgrenzung zu anderen
Kulturen.
- Diese wird aber nicht als statisch oder
monolithisch verstanden, vielmehr als Ergebnis „“jahrhundertelangen Wachsens« (197) und der „Dynamik scheinbar unüberwindbarer Gegensätze und logischer Widersprüche zwischen verschiedensten Werten“
(198). „Universalistische und kulturunspezifische Werte wie ‚Demokratie’, ‚Freiheit oder Rechtsstaatlichkeit’“ seien in diesem Zusammenhang nur „oberflächliche Bestandteile“, „da das echte
Wesen europäischer Kultur in dem besonderen, unnachahmlichen Sinn begriffen liegt, mit dem sie diese und viele andere Begriffsfelder im Laufe der Jahrhunderte angefüllt hat und weiter anfüllen wird.“
(198)
- Engels vertritt hier eine Auffassung von
Sprache und Realität, die der chinesischen sehr nahekommt, die weniger von festen Größen ausgeht als vielmehr von kontextabhängigen Phänomenen, was aber ihre Substanz und Gültigkeit in keiner Weise
einschränkt.
- Ausdrücklich wendet sich Engels gegen die
Tendenz, vor allem das hervorzuheben, was die europäische Kultur von anderen übernommen hat. Seiner Meinung nach gehört auch zur Identität das, was abgelehnt oder auf ganz eigene Art und Weise
verarbeitet worden ist. (200). Man merkt hier deutlich, dass Engels den kulturvergleichenden Ansatz von Spengler aufnimmt, der ebenfalls sehr stark die These vertreten hat, dass zum Beispiel die
„Renaissance“ keineswegs eine „Wiedergeburt“ der Antike gewesen sei, sondern dass es sich um eine Adaption in Richtung der Weiterentwicklung des Eigenen gehandelt habe.
- Was die Schwierigkeiten angeht, eine
europäische Kultur zu beschreiben, verweist Engels auf die nationale Dimension ihrer Bestandteile. (202/3). Die Missachtung dieser Ebene durch die europäischen Institutionen seien ein
wesentlicher Grund dafür, „dass es Europa an jeglicher kulturellen Homogenität mangelt“ (204).
- Erstaunlich ist, dass Engels in diesem
Zusammenhang das Argument zurückweist, dass allein schon das Fehlen einer gemeinsamen europäischen Sprache die Möglichkeiten einer europäischen Kultur und Identität einschränke. Sein Hinweis auf das
englische als gemeinsame Verkehrssprache kann hier in keiner Weise überzeugen, da „Verkehr“ weit entfernt ist von „Kultur“. Dies zeigt sich sprachlich nämlich vor allem in der Etymologie, der
Begriffsgeschichte, die beim oberflächlichen Lernen einer Sprache weitestgehend ausgeblendet wird.
- Ganz im Gegenteil zu seiner
Verkehrssprachen-Großzügigkeit steht der Hinweis auf die schlechten Chancen für das Überleben einer Kultur, die sich selbst im Unterschied zu anderen nicht genügend ernst nimmt
(207).
- Sehr interessant ist dabei der Hinweis auf
den Widerspruch, dass die angebliche Offenheit der Gesellschaft, die, man erreichen oder verteidigen will, im krassen Gegensatz dazu steht, was man alles an Rückfall in frühere Zeiten zulässt.
Angesprochen werden dabei Elemente wie die Meinungsfreiheit oder auch die wirkliche Religionsfreiheit, die auch die Möglichkeit des Verlassens einer Religionsgemeinschaft einschließt. In diesen
Bereichen bedeutet Immigration vor allem auch Desintegration.(208)
- Der Gegenwartsteil dieses Kapitels
schließt mit dem Hinweis auf den Widerspruch, dass die Globalisierung auf der einen Seite den weltweiten Export der Erzeugnisse europäischer Kultur bedeutet, diese auf der anderen Seite aber im
eigenen Gebiet durch den Verzicht auf den Erhalt einer Leitkultur infrage gestellt wird (210).
Anmerkungen zum Kapitel:
Respekt gegenüber anderen Kulturen: Nation und
Globalisierung
Teil 1: EU
196-210
- Das Kapitel beginnt mit der Feststellung,
dass die „Solidarität zwischen dem Staat beziehungsweise der Gesellschaft und dem nationalen wie auch dem allgemeinen abendländischen Kulturgut heute nicht mehr als selbstverständlich gegeben zu sein
scheint“ (196) stattdessen werde sie nur noch Als „Erbe“ gepflegt. Vorrang habe aber auf jeden Fall das Interesse anderer Kulturen vor der eigenen. Nicht ohne Ironie charakterisiert Engels die
damit verbundene Haltung als ängstlich bzw. defensiv.
- Im Anschluss daran wird zunächst geklärt,
was unter einer europäischen Kultur überhaupt verstanden werden kann. Ganz im Sinne eines ursprünglichen Verständnisses von Definition („finis“ = Grenze) geht es dabei vor allem Abgrenzung zu anderen
Kulturen.
- Diese wird aber nicht als statisch oder
monolithisch verstanden, vielmehr als Ergebnis „“jahrhundertelangen Wachsens« (197) und der „Dynamik scheinbar unüberwindbarer Gegensätze und logischer Widersprüche zwischen verschiedensten Werten“
(198). „Universalistische und kulturunspezifische Werte wie ‚Demokratie’, ‚Freiheit oder Rechtsstaatlichkeit’“ seien in diesem Zusammenhang nur „oberflächliche Bestandteile“, „da das echte
Wesen europäischer Kultur in dem besonderen, unnachahmlichen Sinn begriffen liegt, mit dem sie diese und viele andere Begriffsfelder im Laufe der Jahrhunderte angefüllt hat und weiter anfüllen wird.“
(198)
- Engels vertritt hier eine Auffassung von
Sprache und Realität, die der chinesischen sehr nahekommt, die weniger von festen Größen ausgeht als vielmehr von kontextabhängigen Phänomenen, was aber ihre Substanz und Gültigkeit in keiner Weise
einschränkt.
- Ausdrücklich wendet sich Engels gegen die
Tendenz, vor allem das hervorzuheben, was die europäische Kultur von anderen übernommen hat. Seiner Meinung nach gehört auch zur Identität das, was abgelehnt oder auf ganz eigene Art und Weise
verarbeitet worden ist. (200). Man merkt hier deutlich, dass Engels den kulturvergleichenden Ansatz von Spengler aufnimmt, der ebenfalls sehr stark die These vertreten hat, dass zum Beispiel die
„Renaissance“ keineswegs eine „Wiedergeburt“ der Antike gewesen sei, sondern dass es sich um eine Adaption in Richtung der Weiterentwicklung des Eigenen gehandelt habe.
- Was die Schwierigkeiten angeht, eine
europäische Kultur zu beschreiben, verweist Engels auf die nationale Dimension ihrer Bestandteile. (202/3). Die Missachtung dieser Ebene durch die europäischen Institutionen seien ein
wesentlicher Grund dafür, „dass es Europa an jeglicher kulturellen Homogenität mangelt“ (204).
- Erstaunlich ist, dass Engels in diesem
Zusammenhang das Argument zurückweist, dass allein schon das Fehlen einer gemeinsamen europäischen Sprache die Möglichkeiten einer europäischen Kultur und Identität einschränke. Sein Hinweis auf das
englische als gemeinsame Verkehrssprache kann hier in keiner Weise überzeugen, da „Verkehr“ weit entfernt ist von „Kultur“. Dies zeigt sich sprachlich nämlich vor allem in der Etymologie, der
Begriffsgeschichte, die beim oberflächlichen Lernen einer Sprache weitestgehend ausgeblendet wird.
- Ganz im Gegenteil zu seiner
Verkehrssprachen-Großzügigkeit steht der Hinweis auf die schlechten Chancen für das Überleben einer Kultur, die sich selbst im Unterschied zu anderen nicht genügend ernst nimmt
(207).
- Sehr interessant ist dabei der Hinweis auf
den Widerspruch, dass die angebliche Offenheit der Gesellschaft, die, man erreichen oder verteidigen will, im krassen Gegensatz dazu steht, was man alles an Rückfall in frühere Zeiten zulässt.
Angesprochen werden dabei Elemente wie die Meinungsfreiheit oder auch die wirkliche Religionsfreiheit, die auch die Möglichkeit des Verlassens einer Religionsgemeinschaft einschließt. In diesen
Bereichen bedeutet Immigration vor allem auch Desintegration.(208)
- Der Gegenwartsteil dieses Kapitels
schließt mit dem Hinweis auf den Widerspruch, dass die Globalisierung auf der einen Seite den weltweiten Export der Erzeugnisse europäischer Kultur bedeutet, diese auf der anderen Seite aber im
eigenen Gebiet durch den Verzicht auf den Erhalt einer Leitkultur infrage gestellt wird (210).
Anmerkungen zum Kapitel:
Freiheit des Einzelnen: Sicherheit und Aufruf zur
Ordnung
Teil 1: EU
227-236
- Ausführlich geht Engels am Anfang dieses
Teils ein auf die Aufgabe eines jeden staatlichen Gebildes, den Bürgern Sicherheit zu gewährleisten, und das weitgehende Versagen der EU in diesem Bereich. Besonders erschreckend seine Liste
der Aufstände in Frankreich 2005 und in Großbritannien 2011(228/229). Die Liste ist ja seit dem Erscheinen des Buches noch länger geworden – man denke nur an den Kontrollverlust auf der
sogenannten Balkanroute der ungeordneten Migration im Jahre 2015 und die Folgen für die Kriminalitätsentwicklung mit völlig neuen Phänomen von Übergriffen etwa in der Silvesternacht in Köln. Dazu
kommt das Phänomen des islamistischen Terrors, auf das Engels in diesem Zusammenhang noch gar nicht eingeht und das immerhin dazu geführt hat, dass ein EU-Mitgliedsland wie Frankreich über einen
längeren Zeitraum sich im Zustand des nationalen Notstands befindet.
https://netzpolitik.org/2017/frankreich-ausnahmezustand-ohne-ende/
- Ab Seite 232 beschäftigt sich Engels dann
mit den Ursachen des staatlichen Kontrollverlustes im Rahmen eines gesellschaftlichen Paradigmenwechsels (233). Zusätzlich verweist er auf das Problem der Überalterung der europäischen
Gesellschaft und das damit verbundene größer gewordene „allgemeine Gefühl der Schwäche und Machtlosigkeit“ (233). Eine besondere Verantwortung sieht er bei den Massenmedien und die mit ihnen
verbundenen „Wechselwirkungen zwischen der Wirklichkeit, ihrer Mediatisierung und der Wahrnehmung des Verbrechens“ und das „Gefühl der Unentrinnbarkeit einer Entwicklung“, „welche wohl
unausweichlich im gesellschaftlichen Bürgerkrieg und Überwachungsstaat enden muss.“ (233)
- Auf S. 235 werden Perspektiven aufgezeigt,
die auf private Bürgerschutzvereinigungen und ggf. sogar paramilitärische Gruppen zurückgreifen, ergänzt durch eine Radikalisierung politischer Schlagworter.
- Auf den Seiten 235/236 wird dann
abschließend ein großer Bogen geschlagen von den Forderungen der großen europäischen Revolutionen vom 18. bis zum 20. Jhdt., die sich vor allem gegen einen willkürlich und repressiv agierenden Staat
richteten. Aktuell sieht Engels dagegen eine große Bereitschaft, einen solchen Staat wieder zuzulassen, um zumindest ein Mindestmaß an Sicherheit garantiert zu
bekommen.
Teil 2: Rom
237-247
- Hier sieht Engels ähnliche Tendenzen, die
in hellenistischer Zeit mit der Verbreitung der Lehre vom „alles verstehen bedeutet alles vergeben“ (237) verbunden waren. Interessant auf S. 238 ein ausführlicher Auszug aus einer Anleitung für
römische Strafverteidiger, die möglichst Mitgefühl mit dem Angeklagten und damit ein milderes Urteil erreichen sollten.
- Ab S. 239 geht Engels dann auf die
Entwicklung zu mehr Partizipation in Rom ein (auch Plebejer), woraus schließlich die Parteien der Popularen und der Optimaten geworden sind, die sich mit allen Mitteln bekämpften, was die
Staatsordnung zunehmend brüchiger erscheinen ließ. Der Kampf um die Macht habe sich dabei zunehmend auf die Straße und in die Hände junger Demagogen verlagert. Das führte letztlich zu einer
„Kombination politischer Verfolgung und breiter Wahlgeschenke“ (241).
- Als Höhepunkt der Auseinandersetzungen
wird das Volkstribunat des P. Clodius Pulcher im Jahre 58 beschrieben (vgl. 241ff). Am Ende stand dann die Einsetzung des Pompeius als „Consul ohne Amtskollegen“ (243) – die Ordnung konnte
wiederhergestellt werden, allerdings „zum Preis einer bislang seit Sulla nicht mehr dagewesenen Machtkonzentration in den Händen eines Einzelnen, welche bereits das Principat des Augustus ankündigte“
(245).
- Am Ende wird noch einmal zusammengefasst,
wie eine lange Negativentwicklung schließlich in die Bereitschaft mündete, „unter Verzicht auf persönliche Freiheiten wenigens Ruhe und Ordnung wiederherzustellen.“ (247)
Anmerkungen zum Kapitel:
Demokratie: Politische Mitbestimmung und apolitische Haltung
Teil 1:
EU
248-260
- Engels steigt ein mit dem Widerspruch zwischen dem Anspruch der Europäischen Union und der Realität.Dann geht er auf die Ursachen der aktuellen Demokratiekrise
ein, übersieht dabei allerdings den paternalistischen Anspruch der EU-Vertreter und ihrer einseitigen Befürworter. Auf S. 251 wird noch deutlicher, dass Engels an einem Kernproblem vorbeigeht, wenn
er etwa das Englische als gemeinsame Verkehrssprache für eine ausreichende Grundlage eines echten Gemeinschaftsgefühls der Europäer hält.
- Ebenso wenig überzeugt, wenn Individualismus und Materialismus als zentrale Ursachen für politisches Desinteresse aufgeführt werden. Wer jemans in seinem Leben eine europäische
Verordnung gesehen und deren Auswirkung auf das tägliche Leben der Bürger in Europa erlebt hat, wird sicher noch andere Ursachen sehen. Man denke etwa an neue Datenschutzverordnung des Jahres
2018.
- Recht hat Engels allerdings, wenn er dann auf S. 251/2 plötzlich den Gegensatz zwischen dem Elitenansatz und den wirklichen Meinungen und Interessen der Bevölkerung in den
Nationalstaaten feststellt. Auf S. 252 geht Engels sogar soweit, von einem Zeitalter der Postdemokratie zu sprechen.Verstärkt wird die Entwicklung laut Engels durch die
Abwendung der Eliten vom Volk in Richtung politische Technokratie.
- Zentrales Beispiel dafür ist ab S. 254 die Tendenz zum Ignorieren von Volksentscheiden, etwa beim Thema europäische Verfassung (2005). Hier sieht Engels sogar durchsichtige
Verfassungstricks. Dabei kann er sogar auf ein Eingeständnis von Giscard d’Estaing verweisen, der immerhin zu den Vätern des Entwurfs gehörte.
'
- Konkret geht der Verfasser auf Frankreichs und die Niederlande ein, wo nach der Ablehnung des Verfassungsentwurfs die entsprechenden Bestimmungen einfach auf dem Wege der normalen
Gesetzgebung in Kraft gesetzt wurden. Im Falle von Irland wird auf die einfache Wiederholung der Volksabstimmung verwiesen, nachdem zuvor zum Mittel der “öffentlichen
Diffamierung” gegriffen wurde (256).
- Interessant ist dann allerdings die abschließende Bewertung: Hier wird vom Verfasser einfach behauptet, das mit solchen Manipulationen erreichte Ergebnisse sei besser als “ein
möglicher Zerfall der europäischen Einigungsbestrebungen” - eine etwas seltsame Vorstellung von Demokratie, die ja gerade von der Infragestellung des Bestehenden lebt. Dies hindert Engels dann aber
nicht daran, wiederum den zunehmend undemokratischen Charakter vieler Entscheidungsprozesse in der EU deutlich zu kritisieren (257/8).
- Was das zurückgehende Vertrauen in die demokratischen Institutionen angeht, sieht Engels aber das Problem eher bei den Nationalstaaaten.
- Der Schluss des Kapitels (259/260) gehört dann einer Einschätzung der Gefährdung der Demokratrie in Europa, die mit einer Beschreibung des zunehmenden Rechtstrends bei Wahlen in
vielen Ländern beginnt, dann aber zugestehen muss, dass die Versicherung ihrer Vertreter in Regierungen, “die einzigen ‘echten’ Vertreter des Volkes zu sein, angesichts der arroganten Selbstabschottung der
traditionellen politischen Eliten zunehmend an Glaubwürdigkeit zu gewinnen droht.” (260)
Was die Fertigstellung dieser Rezension angeht, so bitten wir um etwas Geduld. Aber wir bleiben dran. Ansonsten hoffen wir, dass unsere Anmerkungen schon genügend Lust
auf die eigene Lektüre gemacht haben :-)
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